Tektonische Verschiebungen
April 2023
Tektonische Verschiebungen
Obwohl im April weitere Hiobsbotschaften aus dem Finanzsektor ausgeblieben sind, sollte/muss jederzeit mit dem Auftauchen weiterer »Schwarzer Schwäne« auf dem Finanzmarktparkett gerechnet werden. Schließlich sind die aus dem kräftigen Zinsanstieg resultierenden Pleiterisiken längst noch nicht ansatzweise sichtbar geworden – weder im Bankensektor, noch in dem immer rasanter wachsenden Schattenbankensektor (NBFIs), der nunmehr bereits 239.300 Mrd. USD bzw. 50 % des globalen Finanzvermögens auf sich vereint. Darüber hinaus deuten eine stark inverse Zinsstrukturkurve und der u. a. weiter abrutschende Leading Economic Indicator (LEI) auf eine in den USA beginnende Rezession hin, womit sich die Risiken für die Finanzstabilität latent noch weiter verschärfen. Auch wächst so die Wahrscheinlichkeit, dass die noch sehr hoch bewerteten Aktienmärkte, an denen die Investoren auf ein schnelles Ende der Teuerung und eine baldige Zinswende der Fed hoffen, mit der zu erwartenden Gewinnrezession vor einer empfindlichen Korrektur stehen könnten.
Während sich die heillos überschuldete Weltmacht USA bereits mit stetig wachsenden binnenwirtschaftlichen Herausforderungen und Risiken konfrontiert sieht, gerät sie nun auch noch immer stärker außenpolitisch unter Druck. So konnte China erst jüngst eine bemerkenswerte diplomatische Annäherung zwischen den beiden verfeindeten Ölmächten Iran und Saudi-Arabien vermitteln, wobei beide Staaten auch noch gleich – zusammen mit weiteren elf Staaten – offiziell ihre Aufnahme in den BRICS-»Schwellenländerblock« beantragt haben. Da der immer mächtiger werdende BRICS-Block seine Anstrengungen forciert, den US-(Petro)-Dollar als Handels- und Reservemedium weiter zurückzudrängen, wird die Finanzierung der immensen US-Defizite absehbar mit zunehmendem Stress verbunden sein. Zudem suchen auch jenseits des BRICS-Blocks immer mehr Staaten nach eigenen Lösungen zur Verringerung ihrer Abhängigkeit vom US-Dollar und anderen westlichen (Sanktions-)Währungen, wie es die Diskussion der ASEAN-Staatengemeinschaft (Brunei, Kambodscha, Indonesien, Laos, Malaysia, Myanmar, die Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam) über die Etablierung eines eigenen Local Currency Transaction (LCT)-Systems zeigt.
Die Geschwindigkeit, mit der diese tektonischen währungspolitischen Verschiebungen nun ablaufen ist bemerkenswert, wobei es die USA selbst waren, die mit der Sperrung der russischen Notenbank-Devisenreserven im März 2022 die anstehende Umwälzung der globalen Finanzordnung tatkräftig beschleunigt haben. Angesichts der massiven Goldkäufe vieler Staaten – allen voran China und Russland – rechnen wir damit, dass das Edelmetall in einer neuen Finanzarchitektur wieder eine bedeutende Rolle als Reservemedium spielen wird, was dann auch zur einer – preistreibenden – Auflösung der seit den 1990-er Jahren bestehenden Untergewichtung des Goldes im internationalen Finanzvermögen führen sollte.
Hamburg, April 2023